Vor meiner Unternehmensgründung und meiner Tätigkeit als Coach war ich viele Jahre angestellt in einem Konzern. 230 Mitarbeiter*Innen, 7 große Level-1-Prozesse, unzählige Unterprozesse, HR Services für 74 Länder, 6 Standorte weltweit – das sind Teilaspekte meiner letzten Rolle dort, und ich habe meinen Job geliebt.
Gegangen bin ich, weil ich wieder ein Leben wollte – aber das ist eine andere Geschichte. Ich erinnere mich an ein Jahr, in dem wir über 2000 go-lives hatten. Ein go-live war damals für uns, wenn wir einen Teilprozess für eines „unserer“ Länder aktiv in unser Portfolio übernommen hatten und mit unserem Service gestartet sind. Sie können sich vorstellen, wieviel damals schief gegangen ist! Fehler haben bei uns zur Tagesordnung gezählt – und meine Rolle beim Aufbau der HR Shared Services Organisation hat dazu geführt, dass ich immer die Letztverantwortliche war, für alle Fehler, die in meiner Organisation passiert sind. Die ersten Jahre dort waren die Hölle. Ich habe kaum mehr geschlafen, der Druck aus den Ländern, der Organisation, meiner Vorgesetzten war massiv. Scheitern kam damals für mich nicht infrage. Zu sagen: Ich schaffe das nicht – ausgeschlossen! Ich habe in meinem Leben selten mehr gelitten, und im Nachhinein sicher nie mehr gelernt als in dieser Aufbau-Zeit. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, was diese Zeit im direkten Erleben für mich „zur Hölle“ gemacht hat: Mein Umgang mit Fehlern.
Wie geht man mit Fehlern um, wenn sie auf einmal zuhauf passieren?
Ich hatte kein Rezept dafür. Ich hatte noch nicht mal eine Ahnung. Ich hatte nur den Schmerz, den es mir zugefügt hat, nicht (mehr) perfekt zu sein, gefühlt alle zu enttäuschen, und nicht zu wissen, wo mir der Kopf steht oder was als nächstes zu tun wäre. Mit all dem alleine zu sein. Der Partner genervt, weil ich kaum mehr ansprechbar war (dazu Fernbeziehung zu der Zeit), die Familie enttäuscht, weil ich mich noch weniger gemeldet habe, die Freunde verständnislos, weil keiner so richtig gecheckt hat, was ich da eigentlich mache, und wie es mir geht.
Mein Lösungsversuch war: Retten, was zu retten ist. So viel zu arbeiten, dass es praktisch zu der Zeit nichts anderes mehr gab. Mein Team an mich und die Organisation binden, so dass wir gemeinsam die Dinge in Angriff nehmen konnten. Mein Team war damals tatsächlich der Schlüssel – der Zusammenhalt, das Gefühl: Wir stecken hier in einem Boot und rudern alle in die gleiche Richtung – für unser Zusammenwachsen hätte es vermutlich kein besseres Szenario geben können.
Fehler unterscheiden!
Was nebenher passiert ist, während ich Stück für Stück aufgeräumt, Fehler ausgebügelt, de-eskaliert habe: Ich habe gelernt, mit Fehlern umzugehen. Zu unterscheiden, welche das Kopfzerbrechen oder den Gram wert sind, und welche einfach nur ärgerlich oder sogar nicht weiter schlimm sind. Zu differenzieren, wie man in der Nacharbeit tut – ob es ein Fehler ist, der in dieser Form einfach passiert und eher „einmalig“ ist (wie z.B. über eine rote Ampel zu fahren, weil man kurz unaufmerksam war). Oder ob es sich um einen Bruch im Prozess handelt, und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass – wenn man diesen Bruch nicht behebt – weitere vergleichbare Fehler passieren, und deswegen ohne weiteren Zeitverzug schnell behebend einzugreifen. Ob es „politische“ Fehler sind – zwar fachlich ohne weitere Konsequenz, aber dafür firmenintern oder in Bezug auf die eigene Karriere höchst zerstörerisch. Welche Konsequenzen man bereit ist, in Kauf zu nehmen, und welche nicht. Wer als „Fehlerverantwortliche*R“ direkte Ansprache benötigte, und wem ein Fehler solche Pein verursachte, dass es nicht nötig war, diesbezüglich noch ein Wort zu verlieren, weil die Person von sich aus alles tun würde, vergleichbare Fehler zukünftig zu vermeiden.
Wir hatten damals in meiner Organisation einen gemeinsamen Glaubenssatz, den wir von meinem Vorgesetzten übernommen hatten: „Jeder Fehler darf genau einmal passieren.“ Damals war dieser Satz für mich eine Riesen-Entlastung – denn er hieß in unserem Gebrauch, dass man nicht jede Eventualität vorausdenken musste (was wir angesichts unserer Aufgabe und Verantwortung sowieso versucht haben). Er bedeutet auch, dass man durch Priorisierung und guten Umgang mit entstandenen Fehlern noch etwas „retten“ konnte. Er hat diesem Anspruch, immer und jederzeit perfekt zu sein, Einhalt geboten und hat uns daran erinnert, dass wir menschlich waren. Ich glaube, ich habe damals keinen Satz öfter gesagt als: „Menschen machen Fehler. Und solange hier Menschen arbeiten, werden bestimmte Fehler passieren.“ Es hat dennoch gedauert, bis ich das auch für mich akzeptieren konnte. Dass auch ich Fehler machen durfte. Über eine Vereinbarung, die wir für unsere Organisation getroffen hatten, um in dieser heißen Zeit überhaupt zu überleben, habe ich für mich verstanden, dass es einen Umgang mit Fehlern braucht, und ebenso die wiederkehrende Reflexion darüber, wie man für sich selbst damit umgehen will.
Was die innere Haltung damit zu tun hat…
Erst als Coach ist mir jedoch klar geworden, dass die innere Haltung, mit der ich damals in jedes Vorhaben hinein gestartet bin, mein Verhalten so geprägt hat, dass das was für mich innerlich galt, auch für andere spürbar war. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, dass mein Perfektionismus meine eigene Organisation angetrieben und gepushed hat – egal wie offen ich vermeintlich im Außen gegenüber Fehlern meiner Mitarbeiter*Innen war. Das hatte natürlich sowohl günstige und schädliche Aspekte – vielleicht hätten wir es als Organisation nie geschafft, so viel umzusetzen in der damaligen Qualität, wenn mein Anspruch nicht entsprechend gewesen wäre. Vielleicht wäre es für manche oder viele meiner Leute damals einfacher gewesen, wenn ich weniger Druck ausgeübt hätte. Es gibt aus meiner Sicht kein richtig und kein falsch, schon gar nicht im Nachhinein, weil uns der direkte Vergleich ja fehlt… Aber es gibt immer mehrere Seiten, und manchmal kommt man in der Retrospektive darauf, dass das Eine zu stark und das Andere nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Wenn es an dieser Stelle einen Appell gibt,
dann den, bewusster mit der eigenen Haltung umzugehen. Zu beobachten, wie man sich verhält, was einen geprägt hat. Welche Glaubenssätze man vielleicht mit sich herumträgt. Und wenn einem all dies bewusster geworden ist, dann strategisch für sich selbst zu entscheiden: Unabhängig davon, woher ich komme – wie möchte ich für mich diese Aspekte in Zukunft gestalten?