Scheitern ist das neue Schwarz. Ob aktuelle Bestseller, Key notes auf Kongressen, Beispiele die ich selbst gerne verwende, wenn ich über Change, also Veränderungen, rede. Diese Woche hat mir eine liebe Freundin und Kollegin von einer Einreichung erzählt, die nicht geklappt hat, und dass sie sich nun mit dem gescheiterten Projekt auseinandersetzt. Dabei habe ich gemerkt: Ich glaube nicht an das Konzept des Scheiterns.
Was heißt Scheitern?
Für die meisten Menschen bedeutet Scheitern, dass etwas nicht geklappt hat. Ehen scheitern (angeblich). Projekte. Einreichungen. Prozesse. Vorgänge, an denen meistens mehr als eine Person beteiligt ist. Für mich schwingt da ein Ton mit, der indiziert, dass etwas aus dem Außen dazu geführt oder beigetragen hat, und dass wir damit dem Scheitern einigermaßen passiv ausgesetzt sind. Nicht wir haben aktiv einen Beitrag geleistet, der zu einem (unerfreulichen? erfreulichen? unerwarteten?) Ende geführt hat. Das Ende ist beim Scheitern auch immer implizit, zumindest in meiner Wahrnehmung. Eine gescheiterte Ehe ist vorbei. Ein gescheitertes Projekt wird nicht mehr weitergeführt, maximal noch die Trümmer beseitigt. Ein gescheiterter Prozess wird in dieser Form nicht mehr durchgeführt. Und wir wollten es anders. Scheitern impliziert also auch: Ich hätte mir etwas anderes gewünscht. Ich kann nichts dafür.
Etwas anders ist es mit dem Aufgeben.
Wenn ich aufgebe, dann ist das durchaus ein aktiver Akt. Etwas, dass ich bewusst entscheide. Ich habe das Rauchen aufgegeben. Nicht: Ich bin am Rauchen gescheitert. Aber: Ich wollte das Rauchen aufgeben, und bin daran gescheitert (heißt in anderen Worten: ich rauche munter weiter, nicht ohne bedenkenschwer meinen Kopf dabei zu wiegen). Bei Scheitern klingt irgendwie auch mit: Ach, wenn ich gekonnt hätte, wie ich gewollt hätte. Wenn der/die andere/n nicht gewesen wären. Wenn ES so nicht gekommen wäre…
Vielleicht bin ich an dieser Stelle zu harsch. Selbstverantwortung ist das Stichwort.
Zumindest das Stichwort, um das es für mich bei all dem anscheinend (auch) geht. Kann ich an etwas scheitern, wenn ich bereit bin, dafür die Verantwortung voll zu übernehmen? Würde ich dann überhaupt von „scheitern“ sprechen? Oder finde ich dann andere Begriffe und damit Konzepte? Meine Ehe ist damals gescheitert – und doch war das ein Begriff, den stets andere Personen gebraucht haben. Ich habe eher davon gesprochen, dass wir uns getrennt haben. Dass unsere Ehe zu Ende war. Dass wir uns auseinandergelebt hatten. Dass wir unsere Ehe beendet haben. Es war eine aktive Entscheidung, an der zwei Menschen beteiligt waren. Ebenso wie an der Entwicklung dahin. Ich war auch nicht ärgerlich auf meinen damaligen Mann. Es war so. Weil wir es dazu kommen ließen und dazu gemacht haben. Weil wir bestimmte Dinge nicht gemacht haben. Auch: Weil wir aufgegeben haben. Die Gründe dafür können sehr gut gewesen sein, oder im Nachhinein betrachtet lächerlich – das spielt irgendwann keine Rolle mehr, oder zumindest eine andere Rolle. Ein anderer Aspekt, der sicherlich dazu geführt hat, dass ich nicht von Scheitern sprechen konnte, war: Etwas Neues begann. Ich war mittendrin. Nach über 17 Jahren Beziehung, mit gerade mal 35. Das war nicht das Ende. Es fühlte sich an wie ein Anfang.
Vielleicht geht es darum. Etwas beginnt, weil etwas anderes zu Ende ist.
Ich vermute, dass ist der gemeinsame Nenner zwischen all diesen erfolgreichen Büchern / Ted-Talks / Shows / Beispielen zum Scheitern, und meinem Zugang: Etwas geht zu Ende, und damit wird der Weg frei für etwas Neues, vielleicht bisher Ungedachtes. Eine Möglichkeit, eine früher getroffene Entscheidung, ein Vorgehen erweist sich als nicht länger durchführbar, als nicht hilfreich, als nicht wegweisend. Das kann sich zunächst ungewohnt anfühlen, hilflos, verwirrend. Ich glaube, man kann auch durchaus Ärger verspüren oder gar Wut, wenn das die Emotion ist, die gerade vorbeikommt. Das ist alles in Ordnung. Emotionen kommen, Emotionen gehen.
Ich beschäftige mich intensiv mit dem Thema Selbstwirksamkeit, und aus meiner Sicht gibt es hier einen wichtigen Aspekt: Unabhängig davon, dass ich meine Emotionen wahrnehme, sie vorbeiziehen lasse, und vielleicht sogar mit anderen meine Beobachtungen dazu teile – die Art, wie ich auf das was gerade passiert blicke, kann Einfluss auf diese Emotionen nehmen, und sie ist unmittelbar mit meiner Selbstwirksamkeit verwoben. Was heißt das?
Ich entscheide, worauf mein Blick liegt – wie ich die Situation wahrnehme.
Also ob ich mich eher auf das konzentriere, was nun zu Ende gegangen ist (also das sog. Scheitern). Oder ob ich eher auf das blicke, was nun beginnt.
Ob ich eher in der Emotion bleibe. Oder die Emotion akzeptiere, und schaue, wo mein Gestaltungsspielraum ist.
Ob ich das im Fokus behalte, was nun beendet ist – durch Scheitern, Aufgeben, oder was auch immer. Oder ob ich das fokussiere, was nun kommt – auch wenn ich noch kaum weiß, was es sein könnte, wohin es führen kann.
Vielleicht geht es darum in diesen ganzen schönen Geschichten vom Scheitern – wie überraschend ein Weg sein kann, der nur entsteht, weil etwas anderes zu Ende ging.
Wenn also dieser Neubeginn inhärent ist, wenn im Begriff des Scheiterns bereits das Wissen liegt, etwas Neues beginnt nun – dann kann ich mich mit dem Konzept des Scheiterns anfreunden.
Allerdings bleibt ein Zweifel daran, dass allen, die von „scheitern“ sprechen, eine Aufregung, eine Freude innewohnt angesichts des noch Unbekannten, das nun vor ihnen liegt. Ich nehme es häufig nicht wahr, wenn jemand von Scheitern spricht. Ich nehme eher die Schwere wahr, die Angst vor dem, was nun kommt, den Fokus auf das, was vorbei ist. Und an dieses Konzept möchte ich nicht glauben.
Ja, wir dürfen trauern. Ja, wir dürfen Angst haben, wenn etwas ungewiss ist. Aber wir müssen dabei wissen, dass es unsere bewusste Entscheidung ist, jetzt traurig zu sein, oder unsere Ängste zuzulassen. Wir dürfen dem Zeit einräumen. Aber wir sollten nicht so tun, als gäbe es kein Morgen. Als würde nicht eine Tür aufgehen. Als wäre dies nicht der Beginn von etwas anderem. Als läge es nicht in unserer Hand.