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Fragen einer neuen Führungskraft: Wie delegiere ich richtig, wenn jemand neu an Board ist? #4

Hannah, meine Freundin die neuerdings zum ersten Mal in ihrer Karriere eine Führungsposition innehat, hat mir diese Woche eine ganz besondere Frage gestellt. Ihre neue Mitarbeiterin ist nun seit kurzem an Bord, die Arbeitsplatzsituation, das Onboarding, ein Plan für die ersten Wochen hat soweit bisher gut funktioniert. Die neue Mitarbeiterin war ein Glücksgriff – sie hat zwar bisher keine große Erfahrung in dem Wirtschaftszweig, in dem sie nun gelandet ist, aber sie ist routiniert und erfahren in den Tätigkeiten ihrer Rolle, und sie bringt einen frischen Blick mit herein. 

Hannahs Frage für diese Woche dreht sich um ein Thema, das – aus meiner Sicht – für alle Führungskräfte immer mal wieder auf den Tisch kommt: Wo ist die Grenze zwischen dem, was ich delegieren kann (auch, um den Anforderungen an mich gerecht zu werden), und dem, was in meiner Verantwortung bleiben muss? 

 
Wie delegiere ich „richtig“?

Ich spare mir und erspare meinen Leser:innen jetzt den Exkurs, den ich normalerweise grundsätzlich mache, wenn der Begriff „richtig“ auftaucht 🙂 

Nennen wir es allerdings lieber so: Wie delegiere ich in einer Form, bei der ich meinen Verantwortlichkeiten meiner Rolle, der Tätigkeit sowie meine:r Mitarbeiter:in bzw. dem Team gerecht werde? Wie finde ich ein Maß an Delegation, das angemessen ist? 

Bereits im letzten Beitrag habe ich ja angedeutet, dass Hannahs Chef ganz klare Vorstellungen davon hat, was Hannah alles zusätzlich übernehmen kann, jetzt da ihre neue Mitarbeiterin eingestellt ist, und sich offensichtlich auch gut einbringt. Das heißt, es gibt von außen klare Vorstellungen und Anforderungen an sie als Führungskraft, und auch ihre Rolle ist gewachsen, neue Tätigkeiten und Verantwortungsbereiche kommen dazu (klar, sonst wäre ja auch eine neue Stelle nicht genehmigt worden). Gleichzeitig möchte die neue Kollegin natürlich auch einen eigenen Verantwortungsbereich haben, und rein fachlich ist sie auch in der Lage dazu. 

 
Wie also findet Hannah das beste Maß, was sie delegieren kann, und was sie in eigenen Händen behalten soll? 

Aus meiner Sicht geht es bei Delegation darum, das Gleichgewicht zu finden zwischen

– eigenen Erwartungen (hier: Hannahs)

– den Erwartungen der anderen beteiligten Parteien (hier: der neuen Kollegin und des Vorgesetzten)

– die Erfordernisse / Befugnisse der eigenen Rolle (also in diesem Fall: Hannahs Verantwortlichkeitsrahmen)

– welche Befugnisse die Mitarbeiterin hat (manche Firmen haben ja z.B. klar geregelt, auf welchem Management Level welches Budget abgezeichnet werden kann – dann kann ich solche Verantwortlichkeiten nicht delegieren, wenn meine Mitarbeiterin nicht das entsprechende, firmenweit geregelte, Level hat)

– Zeitrahmen, den bestimmte Tätigkeiten in Anspruch nehmen

– eigene „Risiko-“Bereitschaft, also im Sinne: Bin ich bereit, bestimmte Konsequenzen zu tragen? 

– „Risikobereitschaft“ der Organisation

 
Was verbirgt sich hinter diesen Aspekten, und sollte ich demnach in meiner Abwägung berücksichtigen? 
1) Meine eigenen Erwartungen (an das Ergebnis, die neue Mitarbeiterin, oder an mich)

Ich habe mit den eigenen Erwartungen angefangen, weil sich hier, aus meiner Perspektive, gleich ein erheblicher Fallstrick verbirgt. Wenn meine Erwartungen daran, wie die „Erfüllung“ einer bestimmten Aufgabe aussieht, sehr klar sind, dann kann das dem Prozess und der Mitarbeiter:in, die damit betraut ist, durchaus entgegenkommen. Häufig steht aber ein Zuviel an „Klarheit“ oder Erwartungen der Erfüllung im Weg. 

Was ich damit meine, ist: 

– Wenn ich nicht nur eine klare Vorstellung vom Ergebnis habe, sondern auch davon, wie man zum Ergebnis kommt, dann nehme ich meinen Mitarbeiter:innen jeglichen Gestaltungsfreiraum, und hindere sie vielleicht sogar daran, die Tätigkeit zufriedenstellend zu übernehmen. Ich denke hier an Allgemeinplätze wie „Viele Wege führen nach Rom“  – es gibt häufig eben nicht nur die eine Variante, wie man ein bestimmtes Ziel erreichen kann, und genau darin liegt oft der Mehrwert und der Gestaltungsrahmen, den ich auch als Vorgesetzte bieten kann

– Wenn meine Erwartungen so hoch gesteckt sind, dass jemand, der nicht exakt die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie ich, der bisher einen anderen Weg gegangen ist und bestimmte Aufgaben vielleicht erstmalig übernimmt, diese gar nicht oder nur sehr, sehr schwer erfüllen kann, dann ist das kontraproduktiv und frustriert die Mitarbeiter:innen und mich als Vorgesetzte gleichermaßen (z.B. wenn jemand neu ins Team kommt, der bisher nie maßgeschneiderte Workshops unterstützt hat, und noch nie eine Powerpoint-Präsentation erstellt hat, und dann erwarte ich von dieser Person, dass sie eine gleichermaßen hochwertige Präsentation erstellt wie ich nach hunderten von Workshops, dann wird die Kolleg:in überfordert und ich enttäuscht sein)

– Wenn ich so klar bin, dass ich schon gar keine Worte mehr dafür finde, worum es mir eigentlich geht (weil es mir derart offensichtlich erscheint, dass ich es gar nicht mehr greifen und dann auch explizit benennen kann), dann brauche ich eine:n Gedankenleser:in auf der anderen Seite, die diese Aspekte auch greifen kann, ohne dass ich sie in den Raum stelle. Mit manchen Kolleg:innen funktioniert das überraschenderweise, aber das ist eher die Ausnahme! Und wenn ich mir dieses Aspektes noch nicht mal bewusst bin, dann kann es nur in einer Enttäuschung meinerseits enden, wenn nämlich meine Gedanken nicht gelesen wurden 😉

– Wenn meine Erwartung an mich ist, alles in Rekordzeit in unglaublicher Qualität selbst abzuwickeln – dann ist Delegation irgendwie unmöglich, weil ich unmittelbar die Erwartung oder den Anspruch an mich selbst nicht mehr erfülle. Ich habe aus zahlreichen Coachings heraus den Eindruck, dass das gar nicht so selten als Fallstrick im Weg steht, und ein Aspekt ist, deren sich viele nicht ansatzweise bewusst sind. 

Was erwarte ich von mir in Bezug auf die Erfüllung meiner Aufgaben? 

  • Reicht es, wenn es später abgeliefert wird? 
  • Reicht es, wenn es anders abgeliefert wird?
  • Kann ich mir vorstellen, dass es sogar besser ist, als wenn ich es abliefere? 
  • Oder wenn es länger dauert?
  • Oder anders aussieht
  • Und ist das ok? 
  •  

– Der Werteaspekt kommt aus meiner Sicht noch verstärkend hinzu: Passt es zu meinen Werten, zu delegieren? Oder bestimmte Aspekte nicht selbst abzuliefern? 

Sich bezüglich der eigenen Erwartungen an sich selbst, an andere, und an die Rolle, die man zu erfüllen hat, bewusster zu werden, dass ist für mich als Coach ein ganz wesentlicher Aspekt um sich überhaupt mit Delegieren auseinanderzusetzen… 

 

Die anderen Aspekte schauen wir uns nach und nach in den kommenden Artikeln hier an.